Klimaschutz-Gutachten des IGH

Klimaschutz-Gutachten des IGH

Ein Wendepunkt im internationalen Klimarecht

erschienen im Parents-Newsletter #42 (August 2025)

Der Internationale Gerichtshof (IGH) stellt in einem Gutachten klar, dass eine gesunde, nachhaltige und saubere Umwelt ein Menschenrecht ist. Er verpflichtet die Weltgemeinschaft, wirksame Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen. Auch wenn das Gutachten nicht mit Sanktionen belegt ist, sprechen Umweltjurist*innen von einem „Gutachten der Superlative“ (Dr. Markus Gehring) und von „Rückenwind für Klimaklagen“ (Dr. Roda Verheyen).

IGH-KlimagutachtenAngefangen hatte alles mit dem Engagement von 27 Studierenden der University of the South Pacific auf den Fidschi- Inseln. Als die For-Future-Bewegung weltweit die Gefahren der Erderhitzung in das öffentliche Bewusstsein rückte, gründeten sie die Studierenden-Organisation PISFCC und sammelten jahrelang weltweit Unterstützer für ihr Vorhaben, um die Problematik vor das höchste Gericht der Welt zu bringen. Mit Erfolg: Im Jahr 2023 verabschiedete die UN-Vollversammlung einstimmig einen vom Inselstaat Vanuatu eingebrachten Auftrag an den IGH in Den Haag, ein Gutachten zu folgenden Fragen zu erstellen (siehe MPG):

  • Welche Verpflichtungen haben Staaten, das Klimasystem und die Umwelt vor Treibhausgasen für jetzige und zukünftige Generationen zu schützen?
  • Welche rechtlichen Konsequenzen ergeben sich für Staaten aus diesen Verpflichtungen, wenn sie durch ihre Handlungen und Unterlassungen dem Klimasystem erheblichen Schaden zugefügt haben, insbesondere im Hinblick auf vom Klimawandel besonders bedrohte Staaten und im Hinblick auf jetzige und zukünftige Generationen?

Pflicht zum Klimaschutz für alle Staaten

Der IGH hat in seinem einstimmig erstellten Gutachten (siehe auch Tagesschau, MPG und P4F) festgehalten, dass alle Staaten erhebliche Umweltschäden verhindern müssen, die durch Aktivitäten in ihrem Hoheitsgebiet oder unter ihrer Kontrolle verursacht werden können. Jeder Staat muss sich dabei an dem 1,5-Grad-Limit aus dem Pariser Klimaabkommen orientieren. Wer dagegen verstößt, kann zur Rechenschaft gezogen werden. Mit den eingereichten freiwilligen Selbstverpflichtungen (NDCs) muss ein angemessener Beitrag zur Einhaltung des Temperaturlimits geleistet werden und sie müssen regelmäßig auf den neuesten Stand gehoben werden. Die Klimaschutzverpflichtung gilt für alle Staaten, auch für diejenigen, die internationale Klimaabkommen verlassen haben. Denn die Verpflichtung ergibt sich lt. IGH nicht nur aus den bekannten Klimaschutzabkommen, sondern auch aus diversen internationalen Verträgen und Statuten sowie aus dem Völkergewohnheitsrecht. Das Argument, es ist nur ein Tropfen im Ozean, wenn wir was für den Klimaschutz tun (so kürzlich auch von Bundeskanzler Merz vorgetragen), hat für den Gerichtshof keinen Wert. Alle Staaten sind aufgerufen, den Klimawandel zu bekämpfen und Klimaauswirkungen vorzubeugen.

Gutachten ohne rechtliche Verbindlichkeit, aber …

Das Gutachten („advisory opinion“) ist, so Markus Gehring, rechtlich bindend nur für die Institution, die die Frage gestellt hat, also die UN-Generalversammlung. Einzelne Staaten werden nicht direkt gebunden, jedoch indirekt über das System der Vereinten Nationen, über andere Gerichtshöfe sowie über innerstaatliche Gerichte, die das Gutachten für ihre Entscheidungen heranziehen. Das Gutachten wird auch auf die Weltklimakonferenz im November in Brasilien (COP30) ausstrahlen (siehe auch die detaillierten Einschätzungen von Verheyen).

Roda Verheyen stellt klar, dass die Staaten jetzt verpflichtet sind, die Forderungen aus dem Gutachten ernst zu nehmen. Konkret für Deutschland heißt das: Das Klimaschutzgesetz darf nicht verwässert werden; die Regierung muss sich endlich an die Umsetzung machen. Mehr noch: Alle zur Verfügung stehenden Maßnahmen zum Klimaschutz müssen ergriffen werden. Da sich das deutsche Klimaschutzgesetz nicht hinreichend am 1,5-Grad-Limit orientiert, ist es laut Verheyen rechtswidrig und die Verfassungsbeschwerden, die in Karlsruhe liegen, dürften damit schon begründet sein. Für die EU bedeutet das IGH-Gutachten lt. Verheyen: Der Streit um das 2040-Ziel ist zu beenden. Es muss sich nach den Maßstäben der Wissenschaftsgremien gerichtet werden und für das Paris-Abkommen muss ein strenges Ziel eingerichtet werden.

Die Erschließung neuer Öl- und Gasquellen bezeichnete lt. Die Zeit der Vorsitzende Richter des IGH, Yuji Iwasawa, als eine womöglich „rechtswidrige Handlung“, genauso wie Subventionen, die in die Produktion und Konsumtion fossiler Energien fließen. Staaten müssten Unternehmen und das Handeln von Privatpersonen dahingehend regulieren, dass die vor zehn Jahren in Paris vereinbarten Klimaziele eingehalten werden.

Angesichts dieser Aussage müssen auch in Deutschland Pläne für die Erschließung neuer Erdgasfelder vor Borkum und in Reichling sofort beendet werden, muss der Ausbau der Erdgasinfrastruktur – wenn überhaupt – auf das absolut Nötigste begrenzt wird. Außerdem sind alle klimaschädlichen Subventionen umgehend zu beenden. Spätestens wenn das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zur „Zukunftsklage“ von Umweltschutzorganisationen und Klimaaktivisten vom Herbst 2024 spricht, wird Kanzler Merz zum Klimakanzler mutieren müssen.

 

KLIMADIKTATUR DER GERICHTE?

Die Zeit weist auf die Bedeutung des IGH-Gutachtens auf die politische Debattenkultur hin: Radikalisierte Konservative und Rechtsradikale nehmen neben Frauke Brosius-Gersdorf mittlerweile auch die zweite Kandidatin für das Verfassungsgericht aufs Korn, Ann-Kathrin Kaufhold. Warum? Weil sie Gerichten beim Klimaschutz eine wichtige Rolle zubilligt. Und Klimaschutz, das ist natürlich „Aktivismus“. Betreibt dann auch der IGH Aktivismus, ebenso wie weitere internationale Gerichtshöfe? Oder sorgen sie vielmehr dafür, dass von den Parlamenten beschlossene Ziele und Maßnahmen auch eingehalten und umgesetzt werden, dass allgemeine Grundsätze beispielsweise des Völkerrechts, denen sich die zivilisierte Welt verpflichtet fühlt, beachtet werden?

Wolfgang Schöllhammer, P4F Mainz

 

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