VON MENSCHEN, DIE AUF BÄUME STEIGEN

"Von Menschen, die auf Bäume steigen"

Vom Kampf für den Erhalt des Altdorfer Waldes in Oberschwaben

Als der sehr persönliche, emotionale Dokumentarfilm Ende Februar 2023 seine Premiere im Kulturzentrum "Linse" in Weingarten bei Ravensburg feierte, gab es immer wieder Szenenapplaus und "Alti bleibt"-Sprechchöre (siehe Beitrag zur Filmvorstellung). Mit dabei waren die Filmemacher*innen Bernadette Hauke und Christian Fussenegger. Im Anschluss an die Premiere hatte Jörg Weißenborn Gelegenheit, mit den beiden zu sprechen.

Alti-Traverse

Frage: Wie kamt ihr auf die Idee, diesen Film zu drehen?

Christian: Ich stamme aus Oberschwaben und bin im Allgäu aufgewachsen. Im Dezember 2020 war ich auf Heimaturlaub und las in der Lokalzeitung, dass ein Jugendlicher an der Ravensburger Stadtmauer einen Baum besetzt hatte, um auf die völlig unzureichenden Klimaschutzmaßnahmen der Stadt aufmerksam zu machen – das war Samuel Bosch, damals 17 Jahre alt. Die Aktion war in der Region der totale Aufreger; auch ich hielt bis dato so etwas im konservativen Oberschwaben für unmöglich!

Im März 2021 habe ich ihn im damals gerade frisch besetzten Altdorfer Wald bei Grund, dem Klimacamp RV, besucht. Samuel und auch die Menschen in der Besetzung haben mich tief beeindruckt und mir war sofort klar, dass aus den Themen "Waldbesetzung" plus "Kiesgrube" plus "Oberschwaben" ein interessanter Film werden könnte.

Bernadette: Genau. Ich hatte bei meinem ersten Klimacamp-Besuch im Sommer ’21 ein ähnliches Gefühl – und so fingen wir einfach an zu drehen.

Alti-Baumhaus
Samuel Bosch und Charlie Kiehne, zwei der Hauptakteure des Films, in einem Baumhaus, das mit viel Liebe zum Detail gebaut wurde

Frage: Wie lange habt ihr gedreht und wie ging es euch dabei?

Bernadette: Die Drehzeit begann Ende August 2021 – tatsächlich nicht in Süddeutschland, sondern in Berlin auf der Rebellion Wave von Extinction Rebellion. Charlie Kiehne, eine weitere Protagonist*in im Film, und Samuel stiegen mit anderen Klimaaktivisti auf das Brandenburger Tor – ein weiterer Moment, der mediale Aufmerksamkeit brachte und für sie selbst die Bestätigung, etwas "unfassbar Sinnvolles zu machen" (Zitat: Charlie). Für uns Filmemacher*innen war die Intensität und die Ernsthaftigkeit der jungen Menschen, die wir dort erlebt haben, der Auslöser, sie weiter mit der Kamera zu dokumentieren.

In den folgenden 18 Monaten sind wir immer wieder überrascht worden. Nicht nur vom Ideenreichtum und den verschiedenen Protestformen, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen. Sondern auch vom Leben und Alltag im Wald und in den Baumhäusern und den sehr verschiedenen Menschen, die wir durch die Filmarbeiten kennengelernt haben. Uns offenbarten sich unvermummte junge Erwachsene, die in Kauf nehmen, für ihr Engagement kriminalisiert und bestraft zu werden.

Christian: Wir wurden offen empfangen, eingeweiht, freundschaftlich aufgenommen. Wir trafen Eltern, Freund*innen, Unterstützer*innen aus dem bürgerlichen Umfeld. Auf diese Weise erschlossen sich uns die in der Region Oberschwaben für diese Menschen relevanten Themen mehr und mehr. Waldschutz wegen Kiesabbau, Flächenverbrauch, Versiegelung, Kreislaufwirtschaft und Beton. Kiesexporte, Geologie, Wasser, Lebensmittel retten, ziviler Ungehorsam, juristische Selbstverteidigung, um nur die Kernthermen zu nennen, die in unserem Film Platz fanden.

Alti-TraverseFrage: Welche Besonderheiten gab es beim Dreh? Und was erhofft ihr euch von dem Film?

Bernadette: Wir haben die Aktivisti in und um den "Alti" durch alle Jahreszeiten und bei vielen ihrer Aktionen begleitet oder sich selbst filmen lassen (mit kleinen Sportkameras, Mobiltelefon). Während der Dreharbeiten war uns lange unklar, wann und wie der Film enden könnte – bis im Januar 2023 die erste spontane Demo zur Rettung des Altdorfer Waldes ein neues Gefühl von Zusammenhalt der Menschen aus der Region den Schlusspunkt in unserem Film setzen konnte. Natürlich sind die Waldbesetzung und Proteste nicht vorbei, aber mehr Akzeptanz und ein Aufschwung spürbar.

Dies hatten wir uns für den Film während der gesamten Drehzeit erhofft: die Gemeinschaft zusätzlich zur Notwendigkeit des Protestes sichtbar machen zu können. Wir wollten einen Film für diejenigen machen, die möglicherweise noch keine eigene Form gefunden haben, aktiv zu werden. Wir wollten neugierig auf die Menschen machen, die im "Alti" leben und auf die, die sie unterstützen. Gleichzeitig Impulse schaffen, über das eigene Verhalten und Leben nachzudenken.

Christian: Besondere Situationen beim Dreh waren oftmals Alltagsmomente. Dann, wenn wir verstanden haben, was Samuel, Charlie und die anderen leisten, während sie im Wald wohnen. Der sportliche Aspekt, Handwerk, Ideenreichtum, Zähigkeit und Mut sind einige der Facetten, die unsere Filmarbeiten immer wieder besonders gemacht haben. Viele Menschen sind im Hintergrund aktiv und haben keine größere "Rolle" im Film bekommen (oder wollten dies nicht). Aber ohne sie würde es diese Art des Protestes und die Besetzung des "Alti" nicht mehr geben. Es sind Gudrun, Martin, Manne, Rosmarie, Ulla, Lilith, Rebecca, Ingo, Wolfgang, Heiner, Klaus, Barbara, Hermine, Sabine, Hermann, Franziska und viele, viele andere.

Frage: Das Projekt ist kein kommerzielles zum Geld verdienen – wie wurde es finanziert?

Bernadette: Anfangs gab es den Wunsch, den Film in den regionalen Fernsehsendern zu veröffentlichen. SWR und BR waren und sind nicht interessiert. So wurde der Film ohne finanzielle Unterstützung eines Fernsehsenders gedreht, geschnitten und nun auch vertrieben.

Ohne eigene technische Ausrüstung und die Fähigkeiten, in allen Bereichen die Arbeit selbst (unbezahlt) machen zu können, wäre kein Film daraus geworden. Durch unsere eigene Zeit und Kraft und die Hilfe anderer bei Kamera, Ton, Pressearbeit, Logistik, Unterkunft, Netzwerken, Musik konnten wir weiter machen. Wir möchten, dass der Film so oft wie möglich gesehen wird. Geld kann damit nicht verdient werden.

Frage: An welchen Projekten arbeitet ihr sonst so?

Bernadette Hauke
Bernadette Hauke: Regisseurin

Bernadette: Ich mache gerade zwei Dokumentationen für das Kinderfernsehen (Kika), die im Laufe des Jahres fertig werden; die Themen: Amphibiensterben/Artenschutz (mit Christian als Kameramann) und Geisternetze bergen/Ostsee entmüllen. Beides sind Umweltthemen, was mir sehr am Herzen liegt. Ich freue mich, wenn sich Kinder engagieren, die Erde und ihre Lebewesen zu bewahren.

Angefangen habe ich beim Wissenschaftsfernsehen des WDR, später für das WDR-Kinderfernsehen gearbeitet. Dort landete ich als Dipl.-Oecotrophologin eher auf Umwegen. Seit 2005 bin ich Teil der kleinen Filmproduktionsfirma Pangolin Doxx mit Sitz in Berlin und arbeite ausschließlich freiberuflich für viele verschiedene Auftraggeber*innen (Sender, NGOs, andere Produktionsfirmen).

Christian Fussenegger
Christian Fussenegger: Regie, Kamera, Schnitt

Christian: Ich arbeite hauptsächlich als Videojournalist für NGOs und Gewerkschaften. Daneben gebe ich Workshops für Kinder & Jugendliche, an der Schnittstelle von Theaterpädagogik und Medienpädagogik – es macht Spaß, das Wissen aus meiner Arbeit mit Film, Medien & Theater an junge Menschen weiterzugeben. Die Jungen haben einen völlig anderen Zugang zu Medien und bewegten Bildern, da lerne ich auch selbst jedes Mal dazu!

Herzlichen Dank euch beiden für das tolle Projekt und die interessanten Blicke hinter die Kulissen.