Die aktuell geplanten Maßnahmen der Bundesregierung zum Klimaschutz und insbesondere zur Transformation des Energiesektors laufen in die völlig falsche Richtung – mit nachteiligen Folgen für die Erreichung der Klimaziele, aber auch für die wirtschaftliche, soziale und politische Entwicklung. Insbesondere Wirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche sticht hier mit ihren Plänen hervor.
Bild: Campact
Katherina Reiches Pläne …
Fossile Energiewirtschaft lange am Leben halten
Viele neue (Erd-)Gas-Kraftwerke
Wasserstoff aus Erdgas (muss nicht grün sein)
CO2 nicht vermeiden, sondern speichern (CCS)
Ausbautempo der Erneuerbaren reduzieren
Klimaziele aufweichen/verschieben
Geld aus dem Klimatransformationsfond (KTF) zweckentfremden
Alte Heizkessel länger laufen lassen
Erneuerbare sollen für Stromnetz-Ausbau zahlen
... und was sie ignoriert
Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021
Strombedarf für Wärme und E-Mobilität
Dynamik der Entwicklung großer Batteriespeicher
Alternativen zur Überbrückung von Dunkelflauten
Entlastung der Stromnetze durch dezentrale Stromproduktion und Speicher
Smarte Steuerung von Stromangebot und -nachfrage
Wachstumsfaktoren für nachhaltige Wirtschaftssektoren
Sozial gerechte Gestaltung der Transformation
Kostenfallen beim Erdgaseinsatz
Die Wirtschaft wird Schaden nehmen
Mit ihren Maßnahmen wird Ministerin Reiche der heimischen Wirtschaft schweren Schaden zufügen. Sie setzt auf alte Technologien und Industriezweige und will den „Business Case“ für erneuerbare Energien „nach unten bringen“. Der gleiche Fehler ist – übrigens mit Reiche als Staatssekretärin – bereits 2012 gemacht worden, als die damals weltweit führende deutsche Solarbranche ausgebremst wurde, mit der Folge, dass Deutschland die Technologieführerschaft an China verlor (siehe Fell). Diese Gefahr droht jetzt der Wind- und der Automobilbranche. Professor Dr. Adrian Rinscheid von der Universität St. Gallen erläutert die Ergebnisse einer Studie zum Thema Verbrenner-Aus in der Autoindustrie: „Technologieoffenheit ist ein Risiko in der Marktdurchsetzungsphase.“ Er erinnert an das Schicksal des einstigen Handy-Giganten Nokia: Das Unternehmen habe den Wandel hin zu Smartphones verpasst. Darüber hinaus drohen vor allem der mittelständischen Industrie, soweit sie energieintensiv produziert, steigende Energiekosten, wenn Reiches preistreibenden Energiepläne umgesetzt werden. Ihre Politik nutzt einzig den fossilen Energieversorgern mit ihrem überholten Geschäftsmodell.
„Völlig überzogene Ausbauziele“?
Ministerin Reiche will die Energiepolitik grundsätzlich umstellen. Die bisherigen Ausbauziele für die erneuerbaren Energien bezeichnet sie bei einer BDI-Veranstaltung als „völlig unrealistisch“ und „völlig überzogen“. Der Ausbau soll sich nicht mehr an den Klimazielen der Bundesregierung ausrichten, sondern am Netzausbau. Zur Begründung führt Reiche zum einen die angebliche Instabilität der Stromnetze an („auf Kante genäht“), zum anderen die hohen Stromkosten in Deutschland, für die sie den schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien verantwortlich macht. Diese müssten wieder stärker ins Blickfeld gerückt werden, um die kränkelnde Wirtschaft auf den Wachstumspfad zurückzuführen. Mit
ihren Plänen verabschiedet sich Reiche von den – sowieso zu niedrigen – deutschen Klimazielen (siehe Abb. 1) und verstößt gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2021 und gegen die Vorgaben des jüngst veröffentlichten Rechtsgutachtens des internationalen Gerichtshofs.
Abb. 1; Daten: UBA, ohne LULUCF und SRU (2024); Quelle: Prof. Volker Quaschning, HTW
Wir brauchen viel mehr Windkraft und PV!
Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, ist zwingend eine vollständige Dekarbonisierung der Energieversorgung bis 2040 erforderlich. Diese umfasst sektorübergreifend auch das Heizen, den Verkehr und die Industrie. Prof. Volker Quaschning von der HTW Berlin skizziert in Abb. 2, wie diese Transformation gelingen kann: Windkraft und Photovoltaik müssen – anders als von Ministerin Reiche geplant – verstärkt ausgebaut werden (Wind offshore: 3,6 GW/a, Wind onshore: 8,5 GW/a, PV: 30 GW/a), Wasserkraft und Biomasse behalten ihre aktuelle Bedeutung, Importe grünen Wasserstoffs decken die verbleibende Lücke, wobei dieser neben der Versorgungssicherung in Dunkelflauten nur in Bereichen eingesetzt wird, die nicht elektrifizierbar sind, also vor allem in best. Industriezweigen und im Luftverkehr. Der Primärenergiebedarf fällt leicht bis 2040, vor allem weil die Primärenergie durch Umstellung von Öl und Gas auf Strom effizienter genutzt wird. Das Szenario setzt voraus, dass nicht verschwenderisch mit dem erzeugten Strom umgegangen wird. Das verbietet die extrem ineffiziente Nutzung von Wasserstoff oder E-Fuels für die Gebäudeheizung und den Straßenverkehr.
Was sind die Gründe für die relativ hohen Stromkosten in Deutschland? Ministerin Reiche sieht im Anstieg der Netzkosten, bedingt durch den forcierten Ausbau von Windkraft und Photovoltaik, die zentrale Ursache. Als Lösung preist sie den Bau neuer Erdgaskraftwerke an. Damit liegt sie – sei es bewusst oder aus Unkenntnis – völlig falsch. Ursache für die steigenden Netzentgelte sind unpassende Preissignale im Stromnetz („Strompreiszonen“, „Merit Order Prinzip“), fehlende Windkraftwerke im Süden, viel zu geringe Speichermöglichkeiten für überschüssigen Strom, fehlende Preis-Anreize für Stromproduzenten und -verbraucher („smarte Netze“) für netzdienliches Verhalten, eine fehlende Nutzung der E-Mobile zur Netzstabilisierung – um nur die wichtigsten zu nennen. Für diese Probleme müssen von der Regierung schnellstens Lösungen erarbeitet und umgesetzt werden. Damit werden die Energiekosten stabilisiert; ein Ausbau
der Erdgasinfrastruktur würde sie nur in die Höhe treiben. Ein Abrücken von den Klimazielen und dem Ausbau der Erneuerbaren, die zunehmend auch für die Sektoren Wärme und Mobilität benötigt werden, ist der völlig falsche Weg.
Soziale Schieflage der Klimaschutzpolitik
Und wo bleiben die Pläne für ein Klimageld als Ausgleich für die ab 2027 steil ansteigenden CO2-Abgaben oder für eine stärker einkommensabhängige Unterstützung bei der Wärmewende? Brigitte Knopf vom Expertenrat für Klimafragen hat auf die Wichtigkeit der Verknüpfung von Klimaschutzpolitik mit sozialem Ausgleich für einkommensschwache Gruppen hingewiesen, wie etwa Sozial-Leasing für Elektro-Autos. Stattdessen werden Haushalte bei der Stromsteuersenkung ausgespart, wird die klimaschädliche Pendlerpauschale erhöht, wird die Förderung der E-Mobilität auf Firmenfahrzeuge beschränkt. Obendrein sind dies falsche Signale, die Verbraucher*innen zu Fehlentscheidungen hin zum Kauf von Gasheizungen und Verbrenner-Autos verleiten, was sie mittelfristig in eine Kostenfalle treiben wird. Die Energiepreise werden absehbar insbesondere durch den deutlichen Anstieg der CO2-Abgaben deutlich steigen. Wird dies nicht sozial abgefedert, birgt das großen sozialen Sprengstoff, den Gegner der Transformation und der Demokratie politisch ausschlachten werden – ein weiterer Grund, entschieden gegen die Pläne von Ministerin Reiche vorzugehen.
So will Reiche ihre Ziele erreichen
Sie schürt Ängste um die Sicherheit der Stromversorgung. Die erneuerbaren Energien destabilisieren lt. Reiche das Stromnetz; dabei verweist sie gern auf den Blackout in Spanien und Portugal im April 2025, der allerdings ganz andere Ursachen hatte.
Sie stellt Optionen – z. T. unter dem Label „Technologieoffenheit“ – in den Raum, die jedoch aus unterschiedlichen Gründen ungeeignet sind. Beispiele: blauer Wasserstoff aus Erdgas (klimaschädlich), CCS/CO2-Seicherung (unsicher, viel zu geringe Kapazität), Atomkraft (zu teuer, riskant, zeitlich zu spät), breiter Einsatz von E-Fuels und Wasserstoff (zu teuer, ineffizient). Effekt: Verunsicherte Bürger*innen warten ab statt umgehend auf erneuerbare Lösungen umzustellen.
Sie missachtet die Festlegungen im Koalitionsvertrag. Das betrifft sowohl die Klimaziele, die sie in Frage stellt, als auch den Ausbau der Gas-Infrastruktur („der Koalitionsvertrag schreibt 20 GW Gaskraftwerke vor“).
Um die fossile Rolle rückwärts auch wissenschaftlich zu hinterlegen, will sie mit dem Energiewende-Monitoring belegen, dass der Strombedarf niedriger ist als bisher angenommen. Eine Kurzstudie im Auftrag von Germanwatch belegt jedoch, dass das von Ministerin Reiche beauftragte Monitoring nur einige Aspekte beleuchtet und ein verzerrtes Bild zu Reiches Gunsten erzeugt.
Ihre dreisteste Maßnahme: Die Gasspeicherumlage soll nicht länger von den Gaskunden getragen, sondern aus dem Klimatransformationsfond (KTF) finanziert werden (siehe Campact). Der KTF, der aus der CO2-Abgabe und zusätzlich aus dem Infrastruktur- Sondervermögen gespeist wird, soll also für die Subventionierung der Erdgasversorgung missbraucht werden. Mehr als drei Milliarden Euro würden ausgerechnet dem Topf entnommen, der eigentlich für klimafreundliche Technologien und den Ausstieg aus fossilen Energien gedacht ist.