Ökozid Teil 2: Völkerrecht - Menschenrecht - Rechte der Natur (Copy)

Ökozid Teil 2: Völkerrecht - Menschenrecht - Rechte der Natur

erschienen im Parents-Newsletter #29 (November 2023)

Stop-Ökozid DeutschlandDie EU hat aktuell die historische Chance, eine globale Führungsfunktion zu übernehmen – und Deutschland spielt dabei eine zentrale Rolle.

Immer öfter taucht in den Medien der Begriff Ökozid auf. Aber was genau verbirgt sich dahinter? Die Parents AG gleichen Namens informiert mit Webinaren, Artikeln und Social Media über das Thema und ist dabei deutschlandweit sowie international gut vernetzt. Jörg Weißenborn hat sich mit der AG-Sprecherin Ulrike Hübner und dem Teamleiter von Stop Ecocide Deutschland Wolf Hingst unterhalten. Das Interview ist zweigeteilt – Teil 1 erschien im letzten Newsletter Ende September.

Frage: Insbesondere in Deutschland gibt es gelegentlich kritische Stimmen, die im Begriff „Ökozid“ eine potentielle Relativierung des Begriffs „Genozid“ sehen. Wie steht Ihr dazu?

Antwort: Diese Anmerkungen sind Ausdruck der besonderen historischen Verantwortung der Deutschen und insofern zu würdigen. Andererseits braucht es sowohl für die politische als auch die wissenschaftliche Debatte klare Begriffe – und das Wort „Ökozid“ macht sehr klar, um was es geht: die Zerstörung der planetaren Lebensgrundlagen. Ein so mächtiges Wort zu nutzen, ist für die Wirksamkeit sehr wichtig (siehe Teil 1).

Der Blick auf die völlig andere Vorsätzlichkeit bei Genozid und Ökozid macht deutlich, dass es keine Vergleichbarkeit der Verbrechen geben kann: Der Vorsatz beim Genozid bezieht sich darauf, eine nationale, ethnische oder religiöse Gruppe als solche zu zerstören – also Menschen massenweise allein aufgrund ihrer (behaupteten) Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu vernichten. Aufgrund dieser besonders strafwürdigen Absicht wird Genozid auch als „Crime of Crimes“ bezeichnet. Die Absicht beim Ökozid bezieht sich dagegen darauf, Profite zu machen – die Zerstörung von Natur wird dabei als Kollateralschaden „nur“ billigend in Kauf genommen. Die Folgen jedoch sind verheerend.

Frage: Es gibt bereits in fast jedem Land Gesetze zum Schutz der Natur und oft auch ein dezidiertes Umweltstrafrecht. Reicht das nicht? Müssten diese Gesetze nicht einfach nur richtig angewendet werden?

Antwort: Umweltzerstörung wird weltweit gedeckt, geduldet oder sogar genehmigt. Für Letzteres gibt es im Deutschen das Fachwort „Verwaltungsakzessorietät“: Eine Behörde kann etwas genehmigen, was eigentlich verboten ist – z. B. das Einleiten von Abwässern oder das Abbaggern ganzer Landstriche, und diese Praxis damit legalisieren. Ein international einheitlicher Straftatbestand von Ökozid würde die dahinterstehenden Abwägungsprozesse grundlegend verändern und grenzüber schreitend anwendbar machen. Weltweit einheitliche Standards sind genau die Stärke des Völker(straf)rechts – sie gelten via Weltrechtsprinzip global (siehe Teil 1).

Ökozid und das 1,5-Grad-Ziel

Ökozid-Gesetzgebung wird dazu beitragen, die globale Erwärmung einzudämmen, insbesondere aus diesen drei Gründen:

  1. Schutz der natürlichen Kohlenstoffsenken an Land und in den Ozeanen (SDG 14 und 15). Diese sind entscheidend für die Eindämmung der globalen Erwärmung. Da die Ozeane zum großen Teil außerhalb nationaler Gerichtsbarkeit liegen, ist es besonders dringlich, alle verfügbaren Wege zu erkunden, um ihren Schutz zu verbessern.
  2. Unterstützung der Regierungen bei der Verlagerung von Subventionen weg von fossilen Brennstoffen hin zu erneuerbaren Energiequellen. Dies wird die Entwicklung von regenerativen Energiesystemen beschleunigen.
  3. Zwang der Wirtschaft, entweder Sicherheitsvorkehrungen für umweltgefährdende Tätigkeiten zu treffen oder ganz andere Konzepte zu entwickeln und anzuwenden.

Frage: 2022 hat die UN-Vollversammlung eine historische Resolution verabschiedet, die den Zugang zu einer sauberen, gesunden und nachhaltigen Umwelt zu einem allgemeinen Menschenrecht erklärt. Spielt das Ökozid-Konzept auch dabei und bei den Menschenrechten allgemein eine Rolle?

Antwort: Das zentrale Menschenrecht ist das Recht auf Leben. Was aber wäre es wert, wenn Mord kein Verbrechen wäre? Analog ist zu fragen: Was ist das neue Menschenrecht auf eine intakte Umwelt wert, solange die Zerstörung von Ökosystemen nicht als Verbrechen geahndet wird?

Menschenrechte und der Schutz der Natur sind eng miteinander verwoben. Der Klima- und Biodiversitäts-Notstand, in dem wir uns befinden, ist ein Multiplikator für die Bedrohung der Menschenrechte: Die weitreichenden Folgen für das Recht auf Leben, Gesundheit, Wohnen, Selbstbestimmung und mehr werden sich mit der Verschärfung von Klimakrise und Artenschwund deutlich verschlimmern.

Die Menschenrechtsvorschriften schweigen jedoch angesichts des Verschwindens von Ökosystemen, deren Wert für die Menschen entweder nicht erkennbar oder unbekannt ist. Die von uns vorgeschlagene Legaldefinition von „Ökozid“ verzichtet daher ganz bewusst auf die Verletzung von menschlichen Rechten als Tatbestandsvoraussetzung (siehe Teil 1).

Frage: Werden also durch diese Definition der Natur eigene Rechte zugesprochen?

Antwort: Die Definition setzt gedanklich voraus, dass die Natur eigene Rechte hat. Das Ökozid-Konzept und die wachsende Bewegung „Rechte der Natur“ sind quasi zwei Seiten derselben Medaille: Die Rechte der Natur werden durch die Ökozid-Gesetzgebung geschützt. Beide Konzepte gewinnen weltweit schnell an Unterstützung und arbeiten zunehmend zusammen.

Völkerrecht & Völkerstrafrecht

Seit der Erstaustrahlung des von der ARD produzierten Fernsehfilms „Ökozid“ am 18.11.2020 ist der Begriff in der breiten Bevölkerung angekommen. In vielen deutschen Städten wurde und wird das auf dem Film basierende Theaterstück aufgeführt. Die Geschichte handelt davon, dass Deutschland als Nation von Ländern des globalen Südens für seinen Anteil an der Klimakatastrophe und auf Kompensation verklagt wird. Dieser fiktive Fall ist im Völkerrecht durchaus denkbar und könnte schon heute so passieren. Ganz aktuell erstellt der Internationale Gerichtshof (IGH) ein Rechtsgutachten, welche Verpflichtungen die Staaten zur Bekämpfung der Erderwärmung haben.

Bei der Ergänzung des Rom-Statuts um Ökozid als fünftes internationales Verbrechen geht es jedoch um das VölkerSTRAFrecht – und Strafrecht ist immer Individualrecht, denn ein Unternehmen oder Land kann zwar auf Schadensersatz verklagt werden, aber nur individuelle Personen können ins Gefängnis gehen. Die individuelle Verantwortung der Entscheider spielt bei der Abschreckung und der Verhinderung von Naturzerstörung eine wesentliche Rolle. Denn Strafrecht ist Schutzrecht. Und das Strafrecht hat auch den größten Einfluss auf die Veränderung von moralischen Standards und gesellschaftlichem Bewusstsein (siehe Teil 1).

Frage: Zahlreiche Organisationen unterstützen das Thema – wer ist in Deutschland bereits mit im Boot?

Antwort: Neben den Parents for Future Deutschland und vielen Ortsgruppen, die unser Manifest unterzeichnet haben, zählen Client Earth, Ecosia und einige BUND-Landesverbände zu unseren wichtigsten Partnerschaften. Das Bistum Speyer und die Landeskirche Pfalz sind ebenfalls offizielle Unterstützer. Mit dem „Netzwerk Rechte der Natur“ zeichnet sich eine sehr interessante Zusammenarbeit ab. Aktuell sind wir mit vielen NGOs, Verbänden und Unternehmen in Gesprächen – und auch mit einigen Parteien und Ministerien.

Frage: Wie sieht es national und international mit politischem Support aus? Am Ende sind es ja die Regierungen, die eine Einführung von Ökozid umsetzen müssen.

Antwort: Die deutsche Bundesregierung hat bislang keine offizielle Position. Das deutsche Außenministerium denkt darüber nach, Ökozid in die neue feministische Außen- und Sicherheitspolitik zu integrieren. Die „Global Greens“, die Vereinigung aller grünen Parteien weltweit, hat sich kürzlich klar hinter uns gestellt, die deutschen Grünen sind noch nicht ganz soweit. Es gibt bereits viele Staaten, die sich für die Anerkennung von Ökozid aussprechen, und es werden immer mehr. Einige Länder wie beispielsweise Frankreich, aber auch Russland und die Ukraine haben nationale Ökozid-Gesetze. Derzeit ist Belgien in Europa diplomatischer Vorreiter und fordert auf Regierungsebene, Ökozid ins Rom-Statut aufzunehmen. Auch das Europäische Parlament hat sich mehrfach dafür ausgesprochen und der Europarat hat sich der Forderung angeschlossen.

Diplomatisch ist es allerdings wichtig und schwierig, ausreichend Gewicht und Mehrheiten zu finden, um den Vorschlag offiziell zu machen. Beispielsweise haben Länder des globalen Südens Sorge, mit geringeren Entwicklungshilfen bestraft zu werden. Deshalb ist es so wichtig, dass sich eine Allianz aus Industriestaaten bildet, um den Vorschlag zu machen. Und dafür sind die EU und Deutschland von entscheidender Bedeutung! Deshalb hoffen wir auf ganz viel aktive Unterstützung durch die P4F-Ortsgruppen…

Statement der deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP)

„Eine Erweiterung um umweltrechtliche Verbrechen schwerwiegenden Ausmaßes hätte insofern eine starke politische Signalwirkung, als zukünftig auch außerhalb der eigenen Staatsgrenzen bei schweren Umweltverbrechen nicht mehr unbeteiligt zugeschaut wird. Wenn sich Deutschland somit als Gründungsmitglied des Internationalen Strafgerichtshofs vehement für die Strafbarkeit von Ökozid einsetzt, kann dies die Glaubwürdigkeit der deutschen Außenpolitik weiter stärken. Gleichzeitig kann eine strafrechtliche Sanktionierung von Ökozid in Zukunft auch eine Abschreckungswirkung entfalten. ... Recht sollte dabei weniger als Hindernis, sondern vielmehr als praktisches Werkzeug zur Gestaltung des Klimaschutzes begriffen werden. Dieser Aspekt muss auch von der Politikberatung dringend stärker in den Vordergrund gestellt werden.“

Quelle: Gesetze für den globalen Klimaschutz

Ausblick

Die ursprünglich für Anfang Oktober vorgesehene Entscheidung über das EU-Umweltstrafrecht wurde auf Mitte November vertagt. Eine Info darüber, in welcher Weise die Ökozid-Definition darin aufgenommen wird, folgt im nächsten Newsletter…


 

Was kann ich tun?

 

Weiterführende Links