Kein Wasserstoff in Chemnitz - gut so!

P4F Chemnitz
P4F Chemnitz • 19 November 2023
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Kein Wasserstoff in Chemnitz - gut so!

Chemnitz17./19.11.2023

Wir veröffentlichen hier den Beitrag des Chemnitzer Ingenieurs und Energiewendeexperten Hr. M. Eckhardt zum Thema Wasserstoff. Anlass ist der "Skandal", dass die Stadt sehr wohl an das künftige deutsche Wasserstoffnetz, nicht aber an das Wasserstoffkernnetz angeschlossen werden soll. Wie sich heraus stellt ist das überhaupt nicht tragisch und schon gar nicht vergleichbar mit dem Abgehängtsein der Viertelmillionenmetropole vom Fernzugnetz der Bahn, wie das Oberbürgermeister Schulze unterstellt. Vielmehr haben wir ein gewaltiges Problem beim Windkraftausbau.  Zudem sind beim in Staatshand befindlichen Versorger eins Energie die Weichen zur klimaneutralen  Wärmeversorgung falsch gestellt. Wasserstoff - den Champagner der Energiewende - in großem Stil zu verheizen und in Fahrzeugkilometer umzusetzen ist dagegen völlig absurd.

Hr. Eckhardt ist auch Autor einer Forschungsarbeit der TU Chemnitz, wie die klimaneutrale Energieversorgung der Stadt gelingen kann (13)

Am 15.11.2023 hat Robert Habeck die aktuellen Planungen für das Wasserstoff-Kernnetz vorgestellt1. Diese sind in Chemnitz auf viel Kritik gestoßen, da dort keine Verbindung nach Chemnitz (etwas links von Habecks Finger auf dem Bild) vorgesehen wird. Eine Leitung soll von Dresden in den östlichsten Zipfel des Erzgebirgskreis (und weiter nach Tschechien) führen und eine andere an Zwickau vorbei, aber keine zum "Wasserstoff Campus Chemnitz"

Habeck zeigt mit dem Finger auf eine Skizze des Wassestoffnetzes

 

Das hat in der Chemnitzer, aber auch in der Sächsischen Politik für viel Kritik gesorgt. Diese ist meiner Meinung nach aber an vielen Stellen kaum fundiert und zeigt eher, dass die Kritiker*innen kein Verständnis davon haben, wo die Chancen und Grenzen von Wasserstoff liegen und welche Rolle das Kernnetz dabei spielt.

Der Chemnitzer OB Schulze sagt:2 "Wie schon bei der Bahn fährt der Zug mal wieder nicht durch unsere Stadt". Die Analogie ist zwar pointiert, aber leider nicht so ganz treffend. Denn das Kernnetz ist ja nicht der einzige Weg, auf dem Wasserstoff nach Chemnitz kommen kann. Schulzes Kritik geht weiter mit der Frage "Wir sind eines von vier Wasserstoff-Kompetenzzentren in ganz Deutschland, das einzige im Osten. Sollen wir den Wasserstoff in Kannen hierher tragen?". Was er vermutlich dabei nicht bedacht hat: Ungefähr so wird das ohnehin ablaufen müssen. Denn das Hydrogen Innovation Center (HIC)3 soll bereits 2027 die Arbeit aufnehmen, die Fertigstellung des Kernnetzes ist auf 2032 terminiert. Bis zum Anschluss an ein vorgelagertes Netz muss die Versorgung also anders erfolgen. Das kann entweder per LKW-Anlieferung in Tanks oder Wechselbrücken passieren, oder durch die Elektrolyse vor Ort. Dafür sind die Bedingungen in Chemnitz allerdings nicht gerade ideal, denn Sachsen hinkt beim Ausbau der Windkraft hinterher.4

Um Chemnitz mit großen Mengen Wasserstoff zu versorgen sind beide Optionen nicht wirklich zielführend, langfristig muss also ein Netzanschluss her. Aber nur weil der nicht mit dem Kernnetz kommt, heißt das ja nicht, dass das nie passiert. Das Kernnetz ist die erste Ausbaustufe 5 eines flächendeckenden Wasserstoff-Netzes in Deutschland mit Fokus auf die Transportebene. Bereits jetzt arbeiten einige Initiativen daran, wie der Wasserstoff weiter verteilt werden kann, unter anderem das Wasserstoff-Netzwerk HYPOS, die einen Tag vor Habeck ihre Pläne für ein Mitteldeutsches H2-Verteilnetz 6 vorgestellt haben. Und siehe da: Hier soll Chemnitz natürlich integriert werden.

Abbildung des künftigen Wasserstoffnetzes

 

Aber das alles ist noch lange nicht das größte Missverständnis bei der Forderung Chemnitz ans Kernnetz anzuschließen. Dieser liegt nämlich die Annahme zu Grunde, Wasserstoff sei DER Energieträger der Zukunft, welchen wir fast überall als Ersatz fossiler Energien brauchen. Dabei erreichen uns immer wieder Warnrufe aus der Wissenschaft, dass Wasserstoff eher als Champagner der Energiewende 7 betrachtet werden muss. Auch wenn die Gasindustrie das natürlich anders sieht, ist bereits jetzt absehbar, dass grüner Wasserstoff mittel-und langfristig für viele Anwendungen viel zu teuer sein wird, da die Alternativen deutlich effizienter und somit günstiger sein werden. Das Fraunhofer ISI schreibt  8 z.B.: "Es erscheint deshalb nicht sinnvoll eine größer angelegte Förderung des Wasserstoffeinsatzes in den Bereichen der Gebäudewärme, des landgebundenen Verkehrs und der energetischen Nutzung in der Industrie weiter zu verfolgen". Und dass die Kosten für grünen Wasserstoff insbesondere zu den Anfangszeiten des Kernnetzes deutlich höher sein werden, als viele sich das erhofft hatten, hat erst kürzlich eine Studie  9 von BCG ergeben.

Wie viel teurer? Schauen wir uns dafür mal ein Beispiel an: Wenn das Chemnitzer Heizkraftwerk an das Kernnetz angeschlossen würde und jährlich rund 1.000 GWh Wasserstoff verbraucht (wie von eins energie 10 kommuniziert), wären das mit dem optimistischen Preis von 5 €/kg Beschaffungskosten von 150 Millionen Euro. Die gleiche Menge Erdgas plus CO2-Zertifikate würde zu heutigen Preisen, die immer noch von der Energiekrise gezeichnet sind, weniger als die hälfte Kosten. Mal angenommen, eins würde diese Mehrkosten auf die Fernwärmekunden umlegen, wären das für einen typischen Einfamilienhaushalt mit 15.000 kWh Jahresbedarf rund 1.500 € Zusatzbelastung pro Jahr. Fairerweise muss man aber dazu sagen, dass zumindest ein Teil der Mehrkosten vermutlich auch durch höhere Erlöse an der Strombörse und teureres Erdgas kompensiert werden würden. 

Vor diesen Hintergründen ist es nur sinnvoll, dass der Einsatz von Wasserstoff erstmal dort fokussiert wird, wo es keine Alternativen gibt. Dies sind beispielsweise Anwendungen in der Chemieindustrie oder in Raffinerien, die bereits heute einen hohen Bedarf an fossilem Wasserstoff haben. Zukünftig kommt wahrscheinlich auch noch die Stahlindustrie dazu, die Wasserstoff ebenfalls nicht als Energieträger, sondern als Reduktionsmittel benötigt. 

Und was machen wir jetzt mit den ganzen jungen Fachleuten, denen wir laut FDP-Chef Füßlein 11 "hier keine modernen Arbeitsplätze anbieten"können? Nun ja, glücklicherweise ist die Industrie in Chemnitz und der Region nicht auf große Mengen Wasserstoff für die stoffliche Verwendung angewiesen, und entgegen der Darstellung der CDU-Landtagsfraktion gibt es hier auch keine Stahlindustrie. Einen hohen Energiebedarf, vielerorts auch für Prozesswärme, gibt es hier natürlich dennoch. Dieser kann in vielen Fällen durch industrielle Großwärmepumpen 12 gedeckt werden. Die können ungenutzte Abwärme-Potenziale einbinden und machen aus einer Einheit erneuerbarem Strom rund 2-3 Einheiten Wärme. Geht man den Weg stattdessen über Wasserstoff kommt nach Verlusten bei Elektrolyse, Transport und Anwendung bleibt von dem Anfangs eingesetzten Strom nur noch etwa eine halbe Einheit Wärme übrig. Insgesamt wird Anfangs also rund fünfmal so viel erneuerbarer Strom benötigt. Welche Option da wohl günstiger sein wird...

Damit die direkte Elektrifizierung gelingen kann, sind aber unbestritten auch einige Herausforderungen zu lösen. Insbesondere der notwendige (Verteil-)Netzausbau wird hier oft als Verhinderungsgrund angeführt. Daher würde ich mir wünschen, dass die vielen Politiker*innen, die hier gerade so auf Berlin schimpfen, ihre Energie lieber für etwas zielgerichtetes aufbringen: Die Forderung, dass unser lokaler Netzversorger den Strom- und Fernwärmenetzausbau so voranbringt, dass wir spätestens 2045 alle Menschen in der Region mit klimaneutraler und kostengünstiger Energie versorgen können - Wasserstoff wird das nicht sein.


Quellen

1 https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2023/11/20231115-ge…

https://www.tag24.de/chemnitz/politik-wirtschaft/chemnitzer-ob-sauer-wi…

https://hzwo.eu/hic/

https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/windraeder-ausbau-genehmigungen-…

https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/FAQ/Wassertstoff-Kernnetz/faq-wasserst…

https://www.hypos-germany.de/erste-ergebnisse-fuer-mitteldeutsches-wass…

https://www.rnd.de/wirtschaft/wasserstoff-als-energietrager-wirtschafts…

https://www.hypat.de/hypat-wAssets/docs/new/publikationen/HyPAT_Working…

https://taz.de/Gefahr-fuer-die-Energiewende/!5963523/

10 https://gemeinsam.eins.de/de-DE/ideas/wird-chemnitz-an-das-bundesweite-…

11 https://www.tag24.de/chemnitz/politik-wirtschaft/chemnitzer-ob-sauer-wi…

12 https://www.tag24.de/chemnitz/politik-wirtschaft/chemnitzer-ob-sauer-wi…

13 M. Eckhardt: "Klimaneutrale und teilautarke Energieversorgung der Stadt Chemnitz", TU Chemnitz, 2023. Erklärender Artikel dazu: https://www.parentsforfuture.de/de/node/4368