Gemeinsamer Brief der ForFuture-Bewegung Sachsen zur Klimakonferenz sächsischer Schüler*innen am 29. Februar 2020 an den Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen, Herrn Michael Kretschmer

Parents for Future Leipzig
Parents for Future Leipzig • 29 Februar 2020
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Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kretschmer,

wir nehmen dankbar zur Kenntnis, dass Sie sich für die "Klimakonferenz der sächsischen Schülerinnen und Schüler" Zeit nehmen, aber wir sorgen uns, dass der Inhalt der Konferenz nicht ausreicht, um deren Namen gerecht zu werden. Aus dieser Sorge heraus hat sich ein breites Bündnis zu einer ForFuture-Allianz zusammen geschlossen. Dahinter stehen überregional verschiedene Ortsgruppen der Fridays, Scientists, Health, Parents und Omas for Future aus ganz Sachsen.

Da die Sächsische Staatskanzlei federführend für Organisation und Programm verantwortlich zeichnet, möchten wir Ihnen auf diesem Wege unsere Kritik an der Konzeption der Veranstaltung Ausdruck zu verleihen und Ihnen unsere wichtigsten Punkte übermitteln.

Zunächst möchten wir vorab erneut ausdrücklich alle Bemühungen der Sächsischen Staatsregierung begrüßen, ehrlichen und effektiven Klimaschutz umzusetzen. Leider können uns das Konzept und die geplante Umsetzung der Veranstaltung bislang nicht davon überzeugen, dass die Sächsische Staatskanzlei es damit erst nimmt. Im Gegenteil:

Wir kritisieren:

  • dass die Sächsische Staatsregierung sich ihrer Verantwortung entzieht.

    Der Untertitel der Veranstaltung lautet „Vom Reden zum Handeln“, vorher hieß es sogar „Vom Fordern zum Handeln“. Das aus unserer Sicht Pikante daran ist, dass damit nicht das Handeln der Politik, sondern der Schülerinnen und Schüler gemeint sein soll.

    Einerseits betonen Sie regelmäßig, dass es beim Klimaschutz internationale Lösungen brauche und dabei die „kleinste Einheit eines Regelungsrahmens“ die EU sei. Andererseits bekommen die Schülerinnen und Schüler in Vorbereitung auf die Klimakonferenz durch den Sächsischen Kultusmister Christian Piwarz zu hören, es sei „jeder selbst für sich“ verantwortlich.

    Aus unserer Sicht schiebt die Sächsische Staatsregierung, die zuvörderst federführende Staatskanzlei und das Kultusministerium, damit die Verantwortung sowohl an die EU, als auch an das Individuum ab. Mit dem Titel, der vor allem die Schüler und Schülerinnen zur Handlung auffordert, wird die zugrunde liegende Haltung dieser „Klimakonferenz“ noch einmal deutlich.

    Wir machen klar: Mit dieser Haltung, die Verantwortung auf jeden Einzelnen abschiebt, entzieht sich die Sächsische Staatsregierung Ihrer Verantwortung gegenüber der Bevölkerung und zwar konkret der Bevölkerung aller Generationen!

  • dass die Inhalte der „Klimakonferenz“ mit Klima nichts mehr zu tun haben.

    Aus Sicht der ForFuture-Allianz verrät die Beschreibung der Workshops zwar nicht viel, aber es wird klar, dass primär Kompetenzen und Wissen aus den Bereichen Partizipation, Konfliktbeilegung und Formen des demokratischen Sprechens vermittelt werden sollen. Diese Inhalte sind sicherlich von alltäglichem Nutzen, aber der Ehrlichkeit halber sollte man dies dann auch als eine „Demokratie-“ und nicht „Klimakonferenz“ betiteln.

    Wir hegen erhebliche Zweifel daran, dass die Klimakrise ausschließlich mit besserer Gruppenkommunikation und Selbstorganisation zu lösen ist. Sollte dies ernst gemeint sein, handelt es sich unserer Meinung nach um ein ernsthaftes Missverständnis. Bei den Beschreibungen der Workshops haben wir den Eindruck, dass effektiver Klimaschutz überhaupt nicht besprochen werden soll. Aus unserer Sicht sollte auf einer sächsischen „Klimakonferenz“ darüber geredet werden, wie auch in Sachsen der CO2-Ausstoß in den kommenden fünf, zehn und zwanzig Jahren reduziert werden kann. Es muss den Schülerinnen und Schülern möglich sein, offen und ehrlich über die notwendigen Schritte zu sprechen und Kritik an sächsischer Klimapolitik zu üben.

    Aufgrund des Programms und auch den schon erwähnten Äußerungen von Christian Piwarz drängt sich uns der Eindruck auf, dass Kritik nicht gewollt ist, sondern dass über andere Dinge diskutiert werden soll. Das ist u.E. das Gegenteil eines Angebots, sondern der Versuch, die Interessen der Jugend zu ignorieren.

    Wir machen klar: Eine „Klimakonferenz“, die nicht über Klimaschutzmaßnahmen in Sachsen diskutiert, ist keine sächsische Klimakonferenz. Das Angebot der Veranstaltung reicht bei weitem nicht aus. „Vom Reden zum Handeln“ in Sachen Klimaschutz gilt ganz klar als Auftrag für die Sächsische Staatsregierung!

  • dass die „Klimakonferenz“ lediglich dem Aufbau eines grünen Images dient

    Uns irritiert, dass Sie sich laut eigener Aussage im Gespräch zu den Paris-Klimazielen bekennen und sich damit selbst zu den Klimaschützern zählen – gleichzeitig aber eine 1.000-Meter-Abstandsregel in den Koalitionsvertrag schreiben, die den Ausbau der Windenergie, wie er faktisch nötig wäre, unmöglich macht. Auch beim Ausstieg aus der Kohleförderung stehen Sie auf der Bremse.

    Hinzu kommt diverse Attacken auf den öffentlichen Diskurs. Wie wir bereits mehrfach, auch persönlich, angesprochen haben, räumen Sie mit Äußerungen wie „Inländerdiskriminierung“, „Klimahysterie“ und FridaysForFuture sei realitätsfern, denjenigen riesige Steine in den Weg, die sich heute schon für die notwendigen Veränderungen engagieren. Mit derlei Angriffen verhindern Sie die Aufklärung der sächsischen Bevölkerung über die Klimafakten - und spielen angesichts der organisierten Klimaleugner-Kampagnen der politischen Rechten in die Hände.

    Wir machen klar: Wer deutlich macht, dass ihm Business-as-usual-Politik lieber ist, als echte und zwingend nötige Veränderungen, der darf sich nicht Klimaschützer nennen!

  • die ablehnende Haltung der Veranstalter gegenüber der ForFuture-Bewegung.

    Mehrere Mitglieder unserer ForFuture-Allianz haben sich an Sie persönlich mit der Frage gewandt, wie wir die Sächsische Staatsregierung in ihren Bemühungen für mehr Klimaschutz unterstützen können. Es gab keine Antwort.

    Eine Mitgestaltung der „Klimakonferenz“ war uns nicht möglich. FridaysForFuture wurde nicht zur Veranstaltung eingeladen. Die Teilnahme einiger weniger erwachsener Vertreter*innen der ForFuture-Bewegung, insbesondere aus den Reihen der ScientistsForFuture, musste regelrecht erkämpft werden.

    Wir machen klar: Wir haben den Eindruck, dass Sie unsere Unterstützung bei der Klimakonferenz ganz bewusst ausschlagen. Und wir haben weiterhin den Eindruck, dass Sie die Lage immer noch nicht ernst nehmen, ebenso wenig wie die Forderungen, die wir zu zehntausenden auf die Straße tragen.

  • dass das Thema Klimaschutz im Unterricht nicht den Raum bekommt, den es verdient hat.

    Wir stellen fest: Wer heute geboren wird, hat die gesamte Schullaufbahn durchlaufen und der Kohleausstieg 2038 ist immer noch nicht abgeschlossen. Das Thema wird in den nächsten Jahren nicht an Wichtigkeit verlieren, sondern drastisch zunehmen, da wir die Folgen des Klimawandels immer stärker spüren und die Maßnahmen des Klimaschutzes sämtliche Bereiche unseres Lebens transformieren werden.

    Wir machen klar: Um die kommende Generation angemessen auf diesen Wandel vorzubereiten und sämtliche Mechanismen des drohenden Klimakollapses zu erklären, braucht es dringend ein eigenes Schulfach. Stattdessen werden die Schülerinnen und Schüler mit einer „Klimakonferenz“ abgespeist, zu der sowieso nur Menschen gehen, die sich mit dem Thema schon beschäftigt haben.

  • die mangelnde Transparenz der Veranstaltung.

    Nach der Lektüre des Programms der „Klimakonferenz“ muss konstatiert werden: Es gibt keine Informationen darüber, wie die Workshops genau aussehen, welche Informationen vermittelt werden sollen und vor allem, wer die Workshops leitet. Sind die Workshopleiter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oder Mitglieder der Regierungsparteien? Sitzen dort Pädagoginnen und Pädagogen oder Vorstände der LEAG? Ist die Veranstaltung selbstkritisch oder nur eine Werbekampagne der Regierung?

    Wir machen klar: Eine transparente Einbindung von anerkannten Wissenschaftler*innen schafft nicht nur eine hohe Qualität des vermittelten Wissens, sondern führt auch zu einer viel höheren Glaubwürdigkeit der Veranstaltung.

  • die Begrenzung der Konferenz auf Schüler*innen.

    Für die gesamte ForFuture-Allianz ist es nicht nachvollziehbar, warum zu der „Klimakonferenz“ nur Schülerinnen und Schüler eingeladen sind, obwohl freitags zu einem großen Teil auch Studierende, Freiwilligendienst Leistende und erwerbstätige Menschen ihren Protest auf die Straße tragen. Das Thema betrifft alle Generationen. Gerade für Menschen, die nicht mehr regelmäßig eine Bildungseinrichtung besuchen, könnte eine gut organisierte Klimakonferenz elementarer Baustein für die Wissensvermittlung und Weiterbildung sein. Das ist angesichts der Klimaleugner-Kampagnen auch dringend notwendig. Den Schülerinnen und Schülern wiederum muss das Thema im Unterricht vermittelt werden, denn dort lassen sich viel mehr Menschen in viel größerem Umfang erreichen.

    Wir machen klar: Wir fordern eine klare und stringente Aufklärung zur den Klimafakten für alle sächsischen Bürgerinnen und Bürger durch die Staatsregierung, überregional und generationenübergreifend.

Ungeachtet der vorstehend geäußerten Kritik der ForFuture-Allianz werden wir es uns nicht nehmen lassen, bei der Konferenz teilzunehmen:


  • Obwohl FridaysForFuture nie offiziell eingeladen wurde, werden wir alles daran setzen, die Konferenz auf unsere Art und Weise aktivistisch mit zu gestalten. Wir werden unsere Forderungen und unsere Kritik am Samstag laut, klar und deutlich in die Räumlichkeiten des Hörsaalzentrums tragen.

  • Auch wenn die insbesondere den ScientistsForFuture zugesagten Möglichkeiten der Teilnahme sehr mager ausfallen, werden wir uns der Zusammenarbeit nicht verwehren und auf der Klimakonferenz Präsenz zeigen.

  • Auch Health, Parents und OmasForFuture aus verschiedenen Teilen Sachsens möchten mit Ihrer Teilnahme die Wichtigkeit des Themas für alle Generationen zum Ausdruck bringen. Wir werden daher gemeinsam als ForFuture-Allianz ebenfalls präsent sein.

 

Welchen Schaden sie damit anrichtet, ist am Beispiel des als Anlage beigefügten Briefes einer Chemnitzer Schülerin an die ParentsForFuture-Ortsgruppe Chemnitz nachzulesen. Er ist ein Alarmzeichen. Er ist aber auch Ausdruck dessen, dass die Schüler von den Erwachsenen endlich ernst genommen werden müssen. Und dass die Politik, allen voran die Sächsische Staatsregierung, dieser Verantwortung dringend nachkommen muss.


Diese Zusendung einer Schülerin erhielt die Chemnitzer Ortsgruppe der ParentsForFuture vor wenigen Wochen:

Lieber U.,
Es ist manchmal sehr schwer für mich zu lernen, wenn die Welt so schrecklich ist. Ist manchmal auch ein blödes Gefühl, dass die Erwachsenen so mit unserer Zukunft spielen. Aber du hast ja auch geschrieben, dass dich das sehr beschäftigt.
Mir kommen da teilweise die Tränen. Die Menschen, die das alles entscheiden und mit zu verantworten haben, haben ihr Leben fast schon zu Ende gelebt. Für mich wird das sicherlich auch noch gehen, aber was ist, wenn ich später mal eine Familie haben möchte? Wenn sogar jetzt schon einige Erwachsene sagen, dass Ihnen für noch ein Kind der Mut fehlt. Das tut wirklich weh, dass so mit meiner Zukunft umgegangen wird... und ich sitz jetzt hier, lern für mein Abi und frag mich eigentlich für was.
Liebe Grüße, C.


Lesehinweis: Das Kürzel des Vornamens wurde verändert, um sie zu schützen. Der Name des Mädchens ist uns bekannt. Sie ist 18 Jahre oder älter. Quelle des Briefes ist ein Chatverlauf, der aus Gründen der besseren Verständlichkeit als Brief veröffentlicht wird, da nicht jede*r Leser*in weiß, was ein Chat ist.
Der Text ist im Internet verbloggt unter: https://parentsforfuture.de/de/node/2356