Energiesicherheit in der Dunkelflaute

Energiesicherheit in der Dunkelflaute

Regierung Merz setzt auf Erdgas - ein Irrweg!

erschienen im Parents-Newsletter #41 (Juni 2025)

Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche fordert einen Realitätscheck der Energiewende. Um die Stabilität der Stromnetze sicherzustellen, setzt sie auf den zügigen Neubau von zahlreichen Erdgaskraftwerken. Dabei gibt es günstigere und vor allem klimafreundlichere Alternativen.

Kraftwerk
Bild: Pixabay.com

 

Katherina Reiche plant den Bau von Erdgaskraftwerken mit einer Leistung von 20 GW, das entspricht etwa 50 neuen Gaskraftwerken. Damit will sie vor allem die Stromversorgung in sogenannten Dunkelflauten sicherstellen. Zugleich verfolgt sie das Ziel, die Stromkosten zu senken, für deren Höhe sie insbesondere den schnellen Zuwachs regenerativer Energien verantwortlich macht. An den (zu schwachen) deutschen Klimazielen – Klimaneutralität bis 2045 – will sie festhalten. Passt das alles zusammen? In diesem Beitrag wollen wir die Pläne der Merz-Regierung einem Realitätscheck unterziehen.

Dunkelflaute und Netzstabilität

Der wachsende Anteil von Strom aus PV und Windkraft lässt die Anforderungen an die Sicherung der Netzstabilität steigen. Als alleinige Lösung sieht Frau Reiche den Bau flexibel einsetzbarer Gaskraftwerke vor. Die Gaskraftwerke sollen zudem perspektivisch die Kohlekraftwerke ersetzen. Eine Umstellung der Gaskraftwerke auf Wasserstoffbetrieb ist bisher nicht vorgegeben, muss aber evtl. im Rahmen des anstehenden EU-Beihilfeverfahrens nachgeschoben werden. Doch der Bau und Betrieb von Gaskraftwerken ist teuer und rechnet sich betriebswirtschaftlich nicht, wenn die Kraftwerke nur in Dunkelflauten eingesetzt werden. Um trotzdem Investoren zu finden, müssen die Gaskraftwerke entweder stark subventioniert oder auch in der Grundlast eingesetzt werden. Letzteres hat Frau Reiche offensichtlich mit im Blick, wenn sie davon spricht, dass der Ausbau von Wind und PV weniger schnell erfolgen soll.

Dass die Kombination von PV und Speichern bis zu 10- mal günstiger ist als Erdgaskraftwerke, rechnet Dr. Erich Merkle von gridparty in seinem Beitrag „1:10 für Photovoltaik“ vor. Eine Umstellung von Gaskraftwerken auf Wasserstoff würde das Verhältnis weiter zugunsten der PV verschieben. Es kann auch nicht damit gerechnet werden, dass grüner Wasserstoff zukünftig wirklich günstig wird: Volker Quaschning schätzt, dass er in Zukunft immer noch 2,5-mal so teuer sein wird wie Erdgas.

 

Gaskraftwerke und Klimaschutz

Wie sieht die Klimabilanz beim Betrieb von Gaskraftwerken aus? Das hängt entscheidend davon ab, welcher Brennstoff in den Gaskraftwerken eingesetzt und wie er hergestellt wird. Beginnen wir mit Erdgas: Erdgas ist in der Verbrennung zwar klimafreundlicher als Kohle, weil weniger CO2 entsteht, doch bei Produktion, Transport und Verarbeitung gibt es mehr oder weniger starke Verluste von sehr klimaschädlichem Methan, die den Vorteil bei der Verbrennung wieder zunichtemachen. Das gilt ganz besonders für Fracking-Erdgas. Die Klimaschädlichkeit durch Methanleckagen bleibt auch dann bestehen, wenn CCS (Carbon Capture and Storage) eingesetzt wird, da dieses nur das bei der Verbrennung entstehende CO2 speichert. Wird im Kraftwerk Wasserstoff statt Erdgas eingesetzt, entsteht bei der Verbrennung kein CO2. Falls es sich um grünen Wasserstoff handelt, sieht die Klimabilanz relativ gut aus, wenngleich auch entweichender Wasserstoff ein gewisses Maß an Klimaschäden verursacht. Wird jedoch „grauer Wasserstoff“, hergestellt aus Erdgas, verfeuert, ist die Klimabilanz sogar schlechter als bei direktem Einsatz von Erdgas.

 

Gaslobby nagt an bestehenden Klimaschutzregeln

Die Farben vom Wasserstoff
Quelle: www.e3g.org, CC BY-NC-SA 2.0


An verschiedenen Stellen wird gerade versucht, Klimaschutzmaßnahmen im Energiesektor aufzuweichen. Das fängt damit an, dass Frau Reiche den Wasserstoffhochlauf „mit allen Farben“ umsetzen will, sprich auch mit grauem Wasserstoff, produziert aus Erdgas. Zudem befürchtet Volker Quaschning, dass die Umstellung von neu errichteten H2-ready-Gaskraftwerken auf Wasserstoff – dafür müssen die Kraftwerke umgerüstet werden, der Transport von Wasserstoff sichergestellt werden und dieser überhaupt in ausreichendem Maße verfügbar sein – bei fehlendem Wasserstoff verschoben wird. In eine ähnliche Richtung geht der Änderungswunsch des BDEW (Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft) zur aktuellen Gesetzeslage: Aktuell muss die Förderung für wasserstofffähige H2-ready-Gaskraftwerke zurückgezahlt werden, wenn die Umstellung nicht innerhalb von acht Jahren erfolgt. Darauf soll verzichtet werden, wenn nicht genug Wasserstoff oder die nötige Technologie verfügbar ist.

RWE und EON schießen jedoch den Vogel ab: Sie fordern die EU auf, die Definition von grünem Wasserstoff zu reformieren. Da sie in diesem Zusammenhang von kohlenstoffarmem Wasserstoff sprechen, zielt das wohl auf die Umwidmung von grauem, aus Erdgas („kohlenstoffarm“) hergestelltem Wasserstoff ab, evtl. in Kombination mit CCS.

 

Ein weiterer Aspekt sind die sogenannten Lock-In-Effekte durch den Bau neuer Gaskraftwerke: Damit sich die Investitionen in den Bau der Kraftwerke rechnen, wird es Bestrebungen geben, die Kraftwerke möglichst lange in Betrieb zu halten, und die werden im Zweifel mit Erdgas betrieben. Dafür sprechen auch die von der Bundesregierung angestrebten langfristigen Gaslieferverträge. Mögliche und klimapolitisch unbedingt notwendige Investitionen in erneuerbare Lösungen drohen verschleppt zu werden. Hinzu kommt, dass finanzielle Mittel in großem Umfang in den Bau und Betrieb der fossilen Kraftwerke fließen und beim Ausbau erneuerbarer Lösungen fehlen.

Auf eine weitere Gefahr weist Mario Petzold im Onlinemagazin golem.de hin: Der – subventionierte – Bau neuer Erdgaskraftwerke unterminiert das Geschäftsmodell von Batterie-Großspeichern. Für sie wird Strom an der Börse bei niedrigen Preisen eingekauft und bei hohen wieder verkauft. „Deckt nun aber Gas einen größeren Teil des Strombedarfs, wenn die Preise hoch sind, sinkt der zu erwartende Gewinn und die Investition in einen Batteriespeicher lohnt sich weniger.“ Hier zeigt sich, dass der Bau der Gaskraftwerke auch den von der Regierung gepriesenen Marktmechanismen widerspricht.

Windräder
Bild: Pixabay.com

Aktiv werden

Was können wir tun, um die Bundesregierung von ihrem Irrweg abzubringen? Zunächst einmal können wir diejenigen Kräfte in der Regierung stärken, die nicht bedingungslos Frau Reiche folgen. Nina Scheer, Energieexpertin der SPD-Bundestagsfraktion, hat Ministerin Reiche, die zunächst von „mindestens“ 20 GW gesprochen hatte, darauf hingewiesen (siehe solarthemen Nr. 587), dass im Koalitionsvertrag lediglich von „bis zu“ 20 GW an Gaskraftwerken die Rede sei und: „Der Koalitionsvertrag bezieht sich auf Flexibilitäten, auf Speicher. … Aber der Koalitionsvertrag sagt nicht, dass für diese Flexibilität fossile Energien notwendig sind.“ Der Bau neuer Gaskraftwerke müsse kostenseitig zu rechtfertigen und mit dem gesetzlich verankerten Vorrang der erneuerbaren Energien abgleichbar sein.

Als Klimabewegung sollten wir generell den Erdgas-Ausstieg stärker in den Fokus nehmen. FFF hat vor kurzem dazu unter dem Titel „Mythos Gas: Raus aus dem Märchenland“ einen ersten Anstoß gegeben. Das Umweltinstitut München hat eine Petition an die Bundesregierung unter dem Titel „Mehr Gas, weniger Zukunft? Nicht mit uns!“ gestartet. Anfang Mai hatte FFF gemeinsam mit BUND, Greenpeace und Protect the Planet zu einer Kundgebung gegen Gasbohrungen im Oberbayrischen Reichling aufgerufen. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat eine Petition gegen die Pläne einer Wiederbelebung von Nordstream 2 mithilfe von US-Investoren gestartet.

Die Klimabewegung muss sich auch ein Stück weit neu orientieren: Ein früher Kohleausstieg bis 2030 könnte als Argument für den Bau neuer Gaskraftwerke missbraucht werden, mit deutlich negativeren Folgen als ein Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken als Dunkelflauten-Reserve bis 2028. Die Priorität eines Gasausstiegs macht FFF in ihrem Post klar: „Hier steht der deutsche Klimaschutz auf dem Spiel. Uns muss klar sein: Gas bedroht unser Allgemeinwohl, unsere Gesundheit, unsere Wirtschaft und unsere Sicherheit. Und noch viel wichtiger ist: Der Ausstieg aus Gas bietet auch große Chancen. Wer gegen Gas kämpft, kämpft für Unabhängigkeit, Bezahlbarkeit und für unsere Zukunft.“

Zielszenario für eine nachhaltige Energiewende

Volker Quaschning erläutert im sehr informativen Podcast „Realitätscheck: Neue Erdgaskraftwerke“, wie aus seiner Sicht die Energiewende aussehen müsste: Der Ausbau von Solar- und Windenergie muss deutlich beschleunigt werden, statt sich „mehr Zeit zu lassen“ (Reiche). Das gleiche gilt für den Aufbau großer Batteriespeicher, die heute die billigste und sinnvollste Speicherlösung sind. Sie können übrigens auch – im Gegensatz zu Gaskraftwerken – das Problem des Überschussstroms mit teils negativen Strompreisen lösen. Parallel müssen die Übertragungsnetze ausgebaut und intelligenter werden. Damit kann auch auf der Nachfrageseite auf schwankende Energieangebote reagiert werden. Ganz ohne Wasserstoff werden wir zukünftig in Dunkelflauten nicht auskommen. Dafür müssen Elektrolyseure und Wasserstoff-Kraftwerke errichtet werden, allerdings ohne den teuren Umweg über H2-ready-Erdgaskraftwerke. Bis diese verfügbar sind, können Batteriespeicher in Dunkelflauten für einige Stunden einspringen, bis Residual- Kohlekraftwerke hochgefahren sind und die Energieversorgung übernehmen. Der Einsatz von Kohlekraftwerken als Backup ist vertretbar: Sie laufen nur wenige Stunden im Jahr.

Wolfgang Schöllhammer
Parents for Future Mainz